Der Prozess gegen zwei Spanier, die auf Mallorca wegen des Todes eines deutschen Urlaubers angeklagt sind, hat mit einer großen Überraschung begonnen. Wie die deutschsprachige «Mallorca Zeitung» schrieb, sagte die Anwältin der Familie des Opfers aus Nordhessen, Maria Barbancho, in den Eröffnungsplädoyers, der 20-Jährige sei schon tot gewesen, als er an jenem Oktoberabend 2022 auf eine Autobahn nahe der Inselhauptstadt Palma geworfen wurde.
Laut Anklageschrift sollen die beiden Spanier den 20-jährigen Urlauber am 8. Oktober 2022 gegen 22.30 Uhr aus der linken Tür eines weißen Lieferwagens auf die Flughafen-Autobahn geworfen haben. Die beiden Angeklagten hätten die Absicht gehabt, zu töten. Der Deutsche hatte zu dem Zeitpunkt laut den Gerichtsakten 2,41 Promille Alkohol im Blut. Vor seinem Tod war der junge Mann an jenem Abend auf der Feiermeile Ballermann in Palma mit einem Kumpel unterwegs gewesen; den Ermittlungen der Polizei zufolge verloren sich beide dann aus den Augen.
Die Verteidigung der beiden Spanier erklärte vor Gericht, dass der Mann selbst aus dem Lieferwagen gesprungen sei, wie die Zeitung «Diario de Mallorca» berichtete. Dem widersprach Anwältin Barbancho energisch: «Es ist kein besoffener Deutscher bei einem Unfall aus dem Lieferwagen gestürzt. Es war ein grausamer Mord. Zuvor gab es eine Schlägerei im Lieferwagen. Autofahrer hinter dem Wagen sahen, wie das Auto seltsam fuhr.»
Der junge Mann war damals auf der Fahrbahn liegend von einem nachfolgenden Auto überfahren worden. Wann genau er wie starb – auch diese Frage dürfte in den folgenden Prozesstagen eine große Rolle spielen. Die Staatsanwaltschaft sowie die Anwälte der Familie des Opfers fordern eine Haftstrafe von je 25 Jahren. Zudem sollen die beiden Männer die Angehörigen mit rund 200.000 Euro entschädigen.
Der Todesfall stellte Ermittler lange vor ein Rätsel: Anfangs ging die Polizei davon aus, dass sich der Deutsche nach der Partynacht im betrunkenen Zustand selbst auf die Autobahn verirrte. «Wir wurden immer wieder direkt angesprochen, dass dies niemals ein Unfall gewesen sein kann», zitierte die «Mallorca Zeitung» die Familie. «Er wäre niemals auf eine Autobahn gelaufen und hätte sich dort hingelegt.»
Die Polizei sichtete schließlich Kameraaufnahmen, die den 20-Jährigen am Ballermann bei der Suche nach einem mitgereisten Kumpel zeigen. Nur drei Minuten, nachdem er aus dem Bild verschwand, wurde der Deutsche den Ermittlungen zufolge anderthalb Kilometer weiter gegen 22.30 Uhr auf der Autobahn MA-19 Richtung Palma unweit der Playa de Palma von einem Wagen überfahren. Die Strecke könne man nicht in der Zeit zu Fuß zurücklegen, sagte Ángel Ruiz, Leiter der Mordkommission der Nationalpolizei, im Oktober 2023.
Kurz zuvor hatte sein Team die zwei Tatverdächtigen festgenommen. Um den beiden auf die Spur zu kommen, mussten die Ermittler rund 100.000 Nummernschilder sowie Verkehrskameras überprüfen, ehe sie auf das mutmaßliche Tatfahrzeug – laut einem Augenzeugen ein weißer Lieferwagen, aus dem der Deutsche auf die Fahrbahn geworfen worden war – stießen.
Die Polizei schließt nicht aus, dass die Angeklagten ihr Opfer ausrauben wollten. Noch nicht geklärt ist, wie der 20-Jährige in den Lieferwagen kam. Laut Verteidigung wollten die beiden Männer den Touristen in sein Hotel bringen, sie hätten ihn auf der Straße angetroffen. Doch auch da wandte Anwältin Barbancho ein: Das Hotel des Mannes sei nur 100 Meter vom Ballermann entfernt gewesen und die Männer seien in die gegensätzliche Richtung gefahren. Sie geht davon aus, dass es im Lieferwagen einen Kampf gab.
Die Anwältin eines der Angeklagten wehrte sich im Prozess gegen diese These: «Am Opfer wurden keinerlei DNA-Spuren der beiden Angeklagten gefunden», sagte sie laut «Mallorca Zeitung». Der Deutsche sei nie geschlagen worden. Auch aus diesem Grund dürften im weiteren Prozessverlauf Aussagen der Gerichtsmediziner von größter Wichtigkeit sein.
Die Anwältin des zweiten Angeklagten, einem Arbeiter aus Sevilla, der für die Jobsuche auf die Insel kam und auf dem Beifahrersitz gesessen habe, wies ebenfalls die Vorwürfe zurück. Die Spanier hätten dem betrunkenen Deutschen nur helfen wollen und ihn ins Auto geladen, berichtete die Zeitung weiter. Auf der Autobahn sei der Deutsche aus eigenen Kräften aus dem fahrenden Fahrzeug gestiegen – wie das möglich gewesen sein soll, blieb offen. Die beiden Mandanten seien weiter zur Arbeit gefahren.
Ursprünglich hatten Anwälte der Familie des Opfers gesagt, der Prozess beginne am Donnerstag. Zum Prozessauftakt am Mittwoch wurden auch Beamte der Polizeieinheit Guardia Civil als Zeugen gehört. Der Augenzeuge, der mit seiner Partnerin hinter dem Lieferwagen gefahren war und gesehen haben will, wie der Deutsche auf die Straße geworfen wurde, soll ebenfalls noch persönlich aussagen.
Der Prozess soll in den kommenden Tagen weitergehen und etwa 15 Tage dauern. Die Familie des Opfers wollte am Prozess nach Angaben der Anwälte teilnehmen, kam aber zumindest zum Auftakt nicht, wie die «Mallorca Zeitung» weiter berichtete.
Quelle: dpa