Ungeachtet heftiger internationaler Proteste muss das Palästinenserhilfswerk UNRWA seine Arbeit in Israel im kommenden Jahr einstellen. Das israelische Parlament billigte mit überwältigender Mehrheit einen umstrittenen Gesetzentwurf, der der Organisation die Tätigkeit auf israelischem Staatsgebiet untersagt. Dies bedeutet, dass die Organisation auch ihre Einsätze in den Palästinensergebieten kaum fortsetzen kann, weil Israel die Grenzübergänge kontrolliert.
Im israelischen Parlament mit 120 Sitzen stimmten 92 Abgeordnete der Regierung und der Opposition für das Vorhaben. Dieses sieht eine massive Einschränkung der Arbeit des Palästinenserhilfswerks vor. Auch ein zweiter Gesetzesentwurf, der jeglichen Kontakt israelischer Behörden mit UNRWA untersagt, wurde mit einer Mehrheit von 87 Abgeordneten gebilligt. UN-Generalsekretär António Guterres und wichtige westliche Verbündete Israels hatten sich klar gegen die Pläne ausgesprochen.
Israel wirft der Organisation vor, einige ihrer Mitarbeiter seien an Terroraktivitäten beteiligt gewesen. «UNRWA ist gleich Hamas», sagte der Abgeordnete Boaz Bismuth von der rechtskonservativen Regierungspartei Likud, einer der Initiatoren des ersten Gesetzes, nach der Billigung.
Behörden in Israel soll jeglicher Kontakt mit der Organisation untersagt werden, sobald die Änderungen in Kraft treten. Dies soll binnen 90 Tagen nach Veröffentlichung des Gesetzes geschehen. Das Hilfswerk müsste jegliche Tätigkeit auf israelischem Territorium einstellen – dies betrifft vor allem den arabisch geprägten Ostteil Jerusalems. In der Zeit soll nach israelischer Vorstellung ein Ersatz für UNRWA gefunden werden.
UNRWA war im Januar in die Schlagzeilen geraten, weil Israel behauptete, zwölf Mitarbeiter des Hilfswerks seien in das Massaker vom 7. Oktober verwickelt gewesen und die Organisation als Ganzes sei von der Hamas unterwandert. Ein Prüfbericht unabhängiger Experten kam später zu dem Schluss, UNRWA habe «robuste» Mechanismen etabliert, um seinen Neutralitätsgrundsatz zu wahren. Allerdings gebe es Verbesserungsbedarf.
Vor der Abstimmung kam es im Parlament zu wütenden Debatten. Ein arabischer Abgeordneter sprach von einem «faschistischen Gesetz». Ziel sei die fortwährende Unterdrückung des palästinensischen Volkes. Die Initiatoren reagierten mit lautem Geschrei, eine Abgeordnete musste nach mehreren Mahnungen aus dem Saal entfernt werden.
UN-Generalsekretär Guterres hatte sich deutlich gegen das Vorhaben ausgesprochen. Ein solches Gesetz würde die Anstrengungen, das menschliche Leid und die Spannungen im Gazastreifen – und auch im Westjordanland und in Ostjerusalem – zu lindern, «ersticken», warnte er. «Es wäre eine Katastrophe in einem jetzt schon kompletten Desaster.» Es werden vor allem im umkämpften Gazastreifen dramatische Auswirkungen für rund zwei Millionen Menschen befürchtet, die auf die lebenswichtige Hilfe von UNRWA angewiesen sind.
Medien zufolge hatten auch Vertreter des israelischen Außenministeriums Bedenken hinsichtlich der praktischen Konsequenzen geäußert. Im schlimmsten Fall drohe ein Ausschluss Israels aus den Vereinten Nationen. Das aber könnten die USA durch ein Veto im Sicherheitsrat verhindern.
Die Vereinten Nationen hatten UNRWA 1949 gegründet, um palästinensischen Flüchtlingen zu helfen. Anspruch auf ihre Dienste haben die Palästinenser, die während der Kriege 1948 und 1967 flüchteten oder vertrieben wurden, sowie ihre Nachkommen. Mittlerweile sind das nach Angaben der Organisation rund 5,9 Millionen Menschen. Das Hilfswerk ist unter anderem auch in Jordanien und im Libanon tätig.
UNRWA hat mehr als 30.000 Mitarbeiter, die meisten davon Palästinenser. Allein im Gazastreifen beschäftigt das Hilfswerk rund 13.000 Mitarbeiter. Die meisten von ihnen sind selbst Flüchtlinge mit ihrem eigenen Schicksal im Nahost-Konflikt.
Die Organisation bietet palästinensischen Flüchtlingen grundlegende Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsversorgung. Seit Beginn des Gaza-Kriegs stellte sie auch Unterkünfte für Hunderttausende Binnenflüchtlinge zur Verfügung und leistet humanitäre Hilfe.
Außenministerin Annalena Baerbock hatte im Juni in Israel mitgeteilt, dass Deutschland die Hilfe für die Menschen in Gaza um 19 Millionen Euro aufstockt. Mit den zusätzlichen Mitteln steigt die deutsche humanitäre Hilfe für die palästinensischen Gebiete auf 312 Millionen Euro seit dem vergangenen Jahr.
Schwerpunkte der Unterstützung sind medizinische Mittel und Nahrungsmittelhilfe. Weiteres Geld fließt in die Evakuierung von Verletzten, an medizinische Teams, in psychosoziale Unterstützung und für Hygienemaßnahmen.
Sieben westliche Länder hatten noch kurz vor der Entscheidung der Knesset ihre «tiefe Besorgnis» über die Gesetzespläne geäußert. In einer Erklärung forderten die Außenministerinnen und Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Kanadas, Australiens, Japans und Südkoreas die israelische Regierung «nachdrücklich» dazu auf, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen.
Die Vorrechte des UNRWA dürften nicht eingeschränkt werden, und humanitäre Hilfe und die Grundversorgung der Zivilbevölkerung müsse weiter ermöglicht werden. Die Ministerinnen und Minister betonten, UNRWA habe Schritte unternommen, um den Vorwurf der Unterstützung terroristischer Organisationen durch einzelne Mitarbeiter auszuräumen.
Die palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland kritisierte die Entscheidung der Knesset scharf. Das Gesetz verletze das Völkerrecht, sagte ein Sprecher des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas. Ziel sei es, die Frage der palästinensischen Flüchtlinge zu «beseitigen». Man werde dies nicht zulassen. Er nannte Israel einen «rassistischen Staat», der aus internationalen Organisationen entfernt werden müsse.
Luise Amtsberg, Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, verurteilte Israels Entscheidung ebenfalls. «Wenn die Gesetze in dieser Form von der israelischen Regierung umgesetzt würden, würde das die Arbeit von UNRWA in Gaza, im Westjordanland und in Ost-Jerusalem faktisch unmöglich machen», sagte sie. Dies sei ein «gefährliches Signal der Missachtung der Vereinten Nationen und der internationalen Zusammenarbeit».
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte mehrfach gefordert, das Hilfswerk ganz abzuschaffen. Zur Begründung sagte er, die Organisation verewige das Problem der palästinensischen Flüchtlinge und «die Idee von einem Recht auf Rückkehr mit dem Ziel der Zerstörung des Staates Israel».
Quelle: dpa