Die SPD-Spitze hat die von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) geforderten Schritte für eine «Wirtschaftswende» rundheraus abgelehnt. «Durch die Bank sind diese Punkte, die er dort aufgezählt hat, in der Koalition nicht zu verwirklichen», sagte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken in Hamburg. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge warf den Ampel-Partnern mangelnden Teamgeist vor, warb aber entschieden für den Fortbestand der Koalition. Unionspolitiker nahmen den Streit der Koalitionäre zum Anlass, um wieder einmal vorgezogene Neuwahlen zu fordern.
Esken vertrat am Rande einer SPD-Dialogveranstaltung in Hamburg die Ansicht, Lindner habe in seinem Grundsatzpapier nur die Position der FDP deutlich gemacht – «nicht innerhalb der Koalition, sondern im Allgemeinen». Auf die Regierungsarbeit der Ampel werde das Papier keinen Einfluss haben. «Die Motivation ist möglicherweise da, aber es wird nicht gelingen.»
SPD-Co-Chef Lars Klingbeil sagte, jeder habe das Recht, Vorschläge zu machen, wie man Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Stärke Deutschlands sichere. Das habe Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auch gemacht. Lindner wisse aber auch, dass Vorschläge nicht die Lösung für die wirtschaftlichen Probleme sein könnten, bei denen es darum gehe, «die Reichen werden jetzt reicher» und die arbeitende Mitte solle weniger Lohn haben, länger arbeiten und später weniger Rente bekommen. «Das wird die SPD an keiner Stelle mitmachen», so Klingbeil.
In Lindners Papier wird eine «Wirtschaftswende» gefordert mit einer «teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen». So wird etwa als Sofortmaßnahme die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener, ein sofortiger Stopp aller neuen Regulierungen sowie ein Kurswechsel in der Klimapolitik gefordert. Deutschland brauche eine Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik, so Lindner. Damit distanziert sich der Minister von Teilen der bisherigen Ampel-Politik.
«Jeder möchte sein Ding irgendwie allein machen, keiner will mit dem anderen zusammen», klagte Grünen-Fraktionschefin Dröge bei einer Parteiveranstaltung in Gifhorn mit Blick auf SPD und FPD. «Auch ich sitze dann zu Hause vor dem Fernseher und denke, es ist so, als würde man einem Auffahrunfall zuschauen.» Dennoch mache es für die Grünen sehr viel Sinn, in dieser Bundesregierung zu sein. Zu Spekulationen über ein vorzeitiges Ende der Koalition sagte sie: «Ich finde, wir haben eine Verantwortung. Wenn man von den Wählern der Auftrag bekommt, eine Regierung zu bilden, dann sollte man das auch vier Jahre tun.»
Im Gegensatz zu den Koalitionspartnern der FDP findet Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) viele Vorschläge aus dem Lindner-Papier gut. Sinnvoll seien «der Bürokratie-Stopp, die Senkung der Unternehmenssteuern, der Umbau der Förderung der erneuerbaren Energien, weitgehendere Speicherung von Klimagasen durch CCS, eine grundlegende Reform des Bürgergelds» sowie eine Begrenzung des Anstiegs der Sozialversicherungsbeiträge, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Eine neue Regierung wird genau diese Punkte in jedem Falle angehen müssen», fügte er hinzu.
CSU-Chef Markus Söder sprach sich für eine vorgezogene Bundestagswahl aus. «Das Einzige, was jetzt zählt, sind Neuwahlen – sofort», sagte der bayerische Ministerpräsident der «Bild». «Es ist vorbei: Das Totenglöckchen der Ampel läutet. Eine Regierung, die gegeneinander Papiere verschickt, ist handlungsunfähig und eine Blamage für unser Land. Es ist Zeit, den Stecker zu ziehen und das unwürdige Schauspiel zu beenden. Jeder Tag länger schadet Deutschland.» Sollte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht selbst die Kraft haben, seine Koalition zu beenden, müsse Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einschreiten.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), sagte der «Rheinischen Post»: «Es wird Zeit, dass die Regierung endlich den Weg freimacht zu Neuwahlen. Es wäre der letzte Dienst, den sie unserem Land erweisen könnte.»
Den Vorwurf, Lindner habe mit seinem nun bekanntgewordenen Papier Öl ins Feuer gegossen, wies Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zurück. «Der Wirtschaftsminister sagte, man müsse an das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz mit der Kettensäge ran. Der Kanzler meinte, das müsse weg», schrieb er bei X. Daher sei es nur konsequent, wenn Lindner nun die Aussetzung dieses des Gesetzes vorschlage. Denn das würde sehr viel Bürokratie sparen.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte dem Sender RTL/n-tv: «Christian Lindner hat mit seinem Vorschlag ein ehrliches Angebot gemacht, das sowohl finanzierbar ist, als auch den Erwartungen der Unternehmen entspricht.» Darüber sollte jetzt innerhalb der Koalition gesprochen werden.
Quelle: dpa